Schwere Bedingungen vor Ort und eine mangelnde Infrastruktur machen das rohstoffreiche Land zunehmend unattraktiv.
Nur wenige Wochen vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Nigeria erwägt die norwegische Ölfirma Equinor (WKN: 675213 ; ISIN: NO0010096985) laut Medienberichten den Rückzug aus dem westafrikanischen Staat. Auch andere Ölförderer wie Shell (WKN: A3C99G ; ISIN: GB00BP6MXD84) oder Total (WKN: 850727 ; ISIN: FR0000120271) haben angekündigt, ihre jahrzehntelange Präsenz in Nigeria zu beenden. Equinor plant laut den Berichten den Verkauf seiner Anteile an einem Ölfeld vor der Küste Nigerias. Der Erlös könnte bis zu eine Milliarde EUR betragen. Das Unternehmen hat bisher Anspruch auf täglich 25.000 Barrel aus dem Agbami Ölfeld, das von Chevron (WKN: 852552 ; ISIN: US1667641005) gemanagt wird. Zuletzt war die Fördermenge aber stark rückläufig. Zwischen 2019 und 2020 sank die Menge um etwa 20%.
Die meisten Ölfirmen erklären ihr Abwandern mit einem Interesse an lukrativen Ölquellen in anderen Weltregionen. Im Fall von Equinor dürfte aber auch die angespannte Lage vor Ort ein Grund für den Rückzug sein. Das Unternehmen hat dort mit Diebstählen und sabotagebedingten Öllecks zu kämpfen, die teuer sind und für schlechte Presse sorgen. Shell ist aus diesen Gründen andauernd in Gerichtsprozesse vor Ort verwickelt, die das Engagement in der Region zunehmend teuer machen, weshalb der Rückzug aus dem Land erwogen wird.
Der Rückzug wird wohl kaum ohne größere Kompensationszahlungen vonstatten gehen. Aus diesem Grund war Shell zuletzt gezwungen, den Verkauf mehrerer Ölvorkommen auszusetzen. Das höchste Gericht Nigerias hatte zuvor entschieden, dass Shell erst das Ergebnis eines Prozesses wegen eines großen Öllecks abwarten muss.
Equinors Rückzug gilt als beunruhigend, da Nigeria aufgrund seiner großen Vorkommen fossiler Energieträger als Alternative zu den russischen Gaslieferungen galt. Durch eine 4000 Kilometer lange Röhre sollte irgendwann Gas aus dem Nigerdelta nach Algerien und dann weiter nach Europa transportiert werden. Nigerias Ölminister hatte deswegen an die Unternehmen appelliert, ihre Investitionen massiv zu erhöhen. Nun tritt aber das Gegenteil ein.
Vor allem die niedrigen Förderkapazitäten sind ein Grund für diesen Mangel an Investitionen. Selbst wenn die Pipeline nach Europa irgendwann zustande käme, sei noch kein kontinuierlicher Gasstrom zu garantieren. Energieexperten wie Zakka Bala betonen, dass die Ölindustrie in Nigeria weitgehend verfallen sei. Laut Bala müsse man zunächst eine funktionierende Gasinfrastruktur aufbauen, wozu es zunächst die nötigen Mittel bräuchte, was derzeit aber nicht mehr gewährleistet ist.
Das Land stagniert auch wirtschaftlich. Das Bruttoinlandsprodukt ist zwischen 2015 und 2020 jedes Jahr gesunken. Laut der Weltbank könnte das Realeinkommen pro Person wieder auf das Niveau der 1980er Jahre sinken. Fast die Hälfte der 225 Millionen Einwohner dürften bis Mitte 2023 unter der internationalen Armutsgrenze leben.
Dass die Einnahmen aus dem Ölgeschäft seit Jahrzehnten für die Subventionierung von Benzin und Strom missbraucht werden, trägt zu der extremen Armut bei. Die Weltbank vermutet, dass die Regierung in Abuja rund 12,6 Milliarden Dollar in Benzin Subventionen gesteckt hat. Bald werden aktuelle Zahlen erwartet. Aktuell dürften die Öleinnahmen etwa zehn Prozent unter denen des letzten Jahres liegen. Ein weiterer Grund für das Abwandern der Unternehmen dürfte die geförderte Ölmenge von täglich 1,1 Millionen Barrel sein - der niedrigste Stand seit Jahrzehnten.